Weit weit weg

Zwei Karyatiden in fließenden Gewändern, links und rechts des Eingangsportals, tragen den Mauergiebel. Von Männern erschaffen, das Haus zu halten, an das Mauerwerk gebunden und nach griechischen Tänzerinnen benannt.

Sollten schweres Gebälk, Balkone und Portale tragen, mit Leichtigkeit und Eleganz. Als Stütze des Hauses Erotik ausstrahlen und nicht Last. Stets ein freudvoller Anblick sein. Jahrhundertelang.

So würde es wohl auch weiter gehen, wären sie nicht aufgebrochen aus ihrem Haushalterinnendasein. Ohne zurückzublicken, ohne Sorge, ob das Haus …

Erste Schritte in dünnen Sandalen, bald barfuß, leichtfüssig die Strudlhofstiege hinunter, eine mäandernde Stiege, steingewordene Einladung zum Flanieren und Verweilen.
Unter dem Asphalt liegt der Strand.

Weg gehen.

(Weit weit weg, Lied von Yasmo und die Klangkantine, 2011
Unter dem Asphalt liegt der Strand, Slogan aus der 68er Bewegung, Name einer anarchistischen Zeitschrift, Titel eines Films von Helena Sanders Brahms
Die beiden Karyatiden stehen am Haus Strudlhofgasse 19, 1090 Wien
)

Foto Sonja Knoll

Abecedarium der Biografiepoesie – Z

Schon länger möchte ich ein Abecedarium der Biografiepoesie schreiben, sammle Begriffe zu den einzelnen Buchstaben, die dieses Feld zwischen Kunst, Literatur und Biografiearbeit abstecken. Eigentlich dachte ich, mit A zu beginnen. Bis mir das Buch zettel/heimat der Lyrikerin, Fotografin, Kunsttherapeutin Elke Bludau begegnet ist.

zettel/heimat ist ein lyrischer transgenerativer Dialog, so der Untertitel. Elke Bludau hat im Zuge einer familiären Wohnungsauflösung Gedichte ihrer Großmutter Elisabeth Bludau gefunden. In diesem Buch nimmt Elke Bludau lyrisch und fotografisch Bezug auf die Verse der Großmutter.

Feine grüne Fäden halten das in Fadenbindung gestaltete Buch zusammen, feine Fäden weben vom Damals ins Jetzt.

Lyrik gibt Raum, der Schreibenden, der Lesenden. Gibt ein Wortzuhause. Entlang der Jahreszeiten, der (Kindheits)landschaften, der Feste im Jahreskreis bei Elisabeth Bludau. Entlang der Suche nach der Großmutter, ihrer Zeit, den Leerzeilen, den Zwischenräume bei Elke Bludau. So lässt sich der brüchige Erinnerungsraum nachnähren.  

wir dichten
uns zu auf papier
brücken im leicht
gewicht
unserer luft
verbundenheit

Das Buch zettel/heimat trifft auf das Wesen meiner Idee von Biografiepoesie.
Poesie im griechischen Wortursprung poiesis, erschaffen, gestalten.

Tische – eine geplante und nicht mehr realisierte Fotoausstellung von Maria Wipplinger

Das erste Foto entstand 1982 beim Essen im Wald mit kalabresischen Bauern.
Es folgten unzählige andere, in Neapel, Rom, New York, Wien … rund um das gemeinsame Essen mit Freunden.

Maria und ich haben immer wieder über eine Ausstellung gesprochen, sie hatte ein paar Notizen, und eine Zusammenstellung der Fotos. 2019 im November, kurz vor ihrem Tod, hat sie mir das auf einem Stick übergeben, „so geht das vielleicht nicht alles verloren“.

Jetzt also auf der Suche nach Menschen, Orten, Möglichkeiten für die Tischfotos von Maria. Vielleicht ergibt sich da oder dort etwas ….

Gehen lernen – zum Fotoprojekt Moving Forward von Maria Wipplinger

Am 23. Juni 2017 habe ich die Ausstellung Moving Forward von Maria Wipplinger eröffnet.
Am 12. Dezember 2019 ist Maria gestorben. Sie war schon im Hospiz und hat mir ihre Fotoserie „Tische“ mit ein paar Notizen übergeben. „Damit sie nicht verloren gehen“. Wir haben immer wieder über eine Ausstellung gesprochen. Dazu ist es nicht mehr gekommen.

Gestern hatte ich eine schöne Begegnung beim Tee mit einer Nachbarin. Sie arbeitet auch für die Gruppe 94 und kannte Maria. Wir haben über sie gesprochen. Ich möchte die Fäden wieder aufnehmen. Den Text von 2017 neu veröffentlichen, und dann auch etwas mit den „Tischen“ machen …

MOVING FORWARD nennt Maria Wipplinger ihr Fotoprojekt, begonnen im Frühling 2016, basierend auf ihren Erlebnissen des Gehens, von dem sie heute hier in der Gruppe 94 Fotos zeigt. 21 x 21 cm, auf Karton aufkaschiert, zu Serien zusammengestellt. Im Gegensatz zu ihren früheren Fotoserien mit dem i-phone aufgenommen.

Auf der Einladung hat Maria geschrieben:

„Im Frühling, Sommer, Herbst und Winter
Gehen Schneller und langsamer
Freudig und traurig
Den Atem spüren,
Dann ankommen.
Auf einer Wiese, in einem Wald, auf einem Gipfel, am Meer
oder auch an einem gedeckten Tisch, bei Freunden.“

Der gedeckte Tisch knüpft an frühere Fotoserien an, wie „Amici italiani“ oder Tische, an denen gegessen wurde, von oben fotografiert. Vieles, was Maria an der Fotografie interessiert, findet sich auch in diesen kleinen Fotos: Landschaften, Kontraste, Schatten, graphische Strukturen. Ihre Fotoseren entstehen aus dem Augenblick heraus, aus Reisen, Begegnungen, Erlebnissen, aus dem, was ihr zufällt. So hat sie im Frühling 2016 begonnen, ihre Füße beim Gehen zu fotografieren. Begleitet von David Whytes Gedicht LEARNING TO WALK/GEHEN LERNEN.

„dann ging ich einfach geradeaus aus dem Tor durch den Wald am Fluss entlang in Richtung der Berge und dachte an die Zukunft, die ich in der Welt schaffen könnte, wenn ich auf sie zuging. … So gehen lernen im Morgenlicht, wieder wie jetzt, werden wir unseren ersten vorsichtigen Schritt in Richtung Sterblichkeit nehmen“.

Gehen lernen – auf vielerlei Arten, aus unterschiedlichen Gründen. Aus Notwendigkeit, im wahrsten Sinn des Wortes: not-wendend. Dann, wenn einem der Boden unter den Füßen weggezogen wird, ihn nach und nach, Schritt für Schritt wieder spüren.  Gehen bringt Bewegung in eine Erstarrung, Gehbewegung bringt Gedanken- und Gemütsbewegung.

Gehen lernen – einen Fuß vor den anderen setzen. Niemand, der das nicht selbst erlebt hat, kann sich vorstellen, wie schwierig die ersten Schritte sind, nach einer Operation, nach längerer Krankheit, nach längerer Zeit im Bett. Wie viel Kraft es kostet, Mut es braucht, den ersten Schritt zu machen. Gehen können – was für ein Geschenk!

Gehen lernen – den eigenen Rhythmus finden, atmen, schauen, hören riechen. Den unterschiedlichen Untergrund spüren, in der Natur, in der Stadt. Gehen lernen ist Wahrnehmen lernen. Gehen ist ein Ausdruck unserer Lebendigkeit, ist Dasein, eine direkte Art und Weise, mich in der Welt wahrzunehmen. Ein Schritt folgt dem nächsten. Im Gehen spüre ich den Grund, der mich trägt. Im Gehen lassen sich Schwere und Traurigkeit abhängen. Den Weg gehen, weg gehen. Davon gehen.

Wege, Schritt für Schritt begangen, führen nicht nur durch eine Gegend, eine Landschaft, eine Jahreszeit, sondern auch zum Sehen, zum Fühlen, zum Da-Sein.

Gehen als eine explizite Art des Widerstands, gegen politische Verhältnisse (auf die Straße gehen), gegen persönliche, einengende Lebensumstände.

Gehen hat auch mit Rasten zu tun, mit Pausen, selbst gewählten oder erzwungenen. Die Partitur meiner Schritte braucht ihre Leerstellen, so wie die Leerstellen einen Text erst lesbar machen.

Gehen als WEITER gehen.  Im weiter gehen das Weite suchen und finden, und auch im Inneren weiter werden.  Das Gehen eröffnet Sehen, Denken und Spüren und ist mehr als Flucht und entkommen. Sich selbst kann man sowieso nicht davon gehen, so wie man seinen Schatten nicht abhängen kann.

Trotzdem vorwärts gehen. Keine kleinen weißen Steine oder Brotkrumen ausstreuen, um wie Hänsel und Gretel den Weg zurückzufinden, sondern auf der anderen Seite des Waldes herauskommen.

In den letzten Jahren wurde das Gehen auch immer mehr zum Thema in der Kunst, der britische Künstler Hamish Fulton begründete die WALKING ART: Gehen ist zentraler Bestandteil seiner Kunst, übersetzt in Fotos, Texte, Bild-Text-Collagen.

Der Land- und Walking Art Künstler Richard Long signierte seine Briefe mit einem roten Stempel, die Umrisse zweier Füße, die den Betrachter mit eingesetzten Augen ansehen. Die Landschaft sozusagen durch sehende Sohlen erfassen …

Poesie, Gedichte begleiten Maria immer wieder.  Bei ihrer ersten Fotoausstellung 2002 das Gedicht „Ithaka“ von Konstantinos Kavafis, jetzt David Whyte. Aber auch ihr Gehen ist Poesie, im ursprünglichen, griechischen Wortsinn poiesis, etwas erschaffen, schöpferisch tätig sein. In dem Sinn, dass auf ihren Wegen Neues entsteht.

Ausstellungsbeteiligung räume für notizen

Ich freue mich, bei der Ausstellung der diesjährigen räume für notizen in der Kunsttankstelle Ottakring dabei zu sein. Vernissage: Dienstag, 30. Jänner 2024, 18 Uhr. 1160 Wien, Grundsteingasse 45 – 47.

Leben aufzeichnen – Maxie Wander zum Geburtstag

Letzten September im Literaturhaus Rostock, ein Plakat: die Ankündigung einer Lesung von Carolin Würfel, Drei Frauen träumen vom Sozialismus. Maxie Wander, Brigitte Reimann, Christa Wolf. Mein Herz schlägt schneller. Zur Lesung sind wir nicht mehr in Rostock, aber Maxie Wander breitet sich in mir aus. So lange habe ich nicht mehr an sie gedacht, in ihren Büchern gelesen. Guten Morgen, du Schöne. Ein Leben ist nicht genug. Leben wär‘ eine prima Alternative.

Wie haben wir Mitte der 80er Jahre diese Bücher verschlungen, sie uns einverleibt, in der Familien- und Freundinnenrunde hin und her geborgt, verschenkt. Sätze unterstrichen, herausgeschrieben, in die Wohnung gehängt. Fasziniert von Maxie Wanders rastlosem Lebenshunger, ihrer Neugier, ihrer Suche nach einer neuen, schöpferischen Art zu Leben (die sie unter anderem in die DDR führte, was, samt Ernüchterung ein Kapitel für sich ist). Haben wir doch selbst damals unser eigenes Leben gesucht, das natürlich ganz anders als das unserer Eltern sein sollte.

Fasziniert von ihrer Begabung zu Begegnung und Berührung, was ihre Frauenprotokolle so besonders macht. Von ihrem ununterbrochenen täglichen Schreiben, Beobachtungen, Geschichten, Notizen und hunderte von Briefen. „Und vielleicht sind genau diese Briefe ihr großes, größtes Werk“, schreibt Carolin Würfel. „Das sah und kapierte damals nur keiner, weder sie, noch ihr Umfeld. Ihre Briefe waren keine gewöhnlichen, konventionellen Briefe. Sie waren Korrespondenz und Selbstgespräch. … Sie waren klug und originell und humorvoll und traurig und weise.“

Ihr Schreiben war jedenfalls immer inspirierend, anregend und die Aufforderung, etwas zu tun.   

Am 3. Jänner hätte Maxie Wander ihren 91. Geburtstag.

P.S. Im Rüdigerhof über Maxie Wander schreibend, wird mir erst so richtig bewusst, dass in unseren Raum und die Idee der Salonage nicht die Salonieren wie Rachel Varnhagen oder Bettine von Arnim einfließen, sondern das offene Haus, der große Tisch, die vielen Gespräche, der Gedankenaustausch bei Maxie und Fred Wander in Kleinmachnow. Salonage, das klingt wie Collage und Bagage!

P.S. Was das Tagebuch und das tägliche Schreiben betrifft, herzliche Einladung zu meinem neuen Seminar „Tagebuchvariationen zwischen Text und Bild – Möglichkeiten des täglichen Schreibens“ im Februar 2024 in St. Pölten.

Carolin Würfel, Drei Frauen träumten vom Sozialismus. Maxie Wander, Brigitte Reimann, Christa Wolf. Hanser Verlag, 2022

Maxie Wander, Guten Morgen, du Schöne. Frauen in der DDR. Protokolle, Sammlung Luchterhand,1978

Maxie Wander Leben wär‘ eine prima Alternative. Tagebuchaufzeichnungen und Briefe, Sammlung Luchterhand, 1986

Maxie Wander, Ein Leben ist nicht genug, dtv, 1996

Dezemberwienflanerie etc.magazin

In meiner neuen Wienflanerie „Auf der Suche nach den verlorenen Frauen – Wien am Wasser Teil 3“ geht es um die kaum vorhandenen Frauendenkmäler im Stadtpark, um die Skulptur für Lucia Westerguard der Künstlerin Carola Dertnig, um den Elfriede Gerstl Steg, das Donauweibchen und vieles mehr.

Gedicht von heute – Poesiegalerie 

Ich freue mich sehr, dass mein naturpoetisches Gedicht „liebt mich, liebt mich nicht“ in der virtuellen Poesiegalerie gezeigt wird. 

Mit der Naturpoesie bewege ich mich entlang einer vermeintlichen Lesbarkeit, wo etwas an Zeichen, an Zeilen erinnert. 

In diesem Gedicht auch die Anspielung an das Gänseblümchen-Liebesorakel durch das Zupfen der Blütenblätter.  

zum Gedicht

9. – 11. Nov. 2023 –  Transmediale Poesiegalerie

In der transmedialen Poesiegalerie 2023 zeige ich vier Collagen aus der Serie „Unterstützenswertes Umherschweifen“. 

Diese Text-Bild-Sequenzen montieren und verdichten meine Streifzüge, die Stadtfotografie, die Alltagsbeobachtungen, das Besondere im scheinbar Unscheinbaren. 

zur poesiegalerie

Biografische Einschreibungen in Wiener Kaffeehäuser

Meine Biografie könnte ich – wie wahrscheinlich viele Menschen in Wien – in großen Teilen entlang von Kaffeehäusern erzählen.

Der Schriftsteller Herbert J. Wimmer entwirft im Gedicht „café gerstl“ ein Gesprächsnetz mit Elfriede Gerstl „im café-gedicht als mindmap einer kommunikation und ihrer verteilung über die stadt der gesprächsorte mit elfriede erscheinen cafés die es noch gibt und solche die es nicht mehr gibt im stadtzeitraum von sechsunddreissig jahren.“ (Herbert J. Wimmer, Ganze Teile, Gedichte, Klever Literatur, Wien, 2010, Seite 118 – 120) Eine Auflistung vorhandener und verschwundener Cafés …

Ich weiß nicht mehr, welches mein erstes Café war, aber die stärkste Erinnerung ist das verrauchte Hawelka, mit sechzehn, ein Ort, der mir schnell die Illusion von „erwachsen sein“ gab, auch wenn ich die Mokkatasse halb mit Zucker füllte.

Wie ich übrigens danach noch in vielen weiteren Cafés in vielen Städten in unterschiedlichen Lebensphasen etwas darstellen wollte, in glücklichen Augenblicken fiel Schein und Sein zusammen.

Schule habe ich im Tirolerhof und Tanzschule im Bräunerhof geschwänzt. Die Schulmessen haben wir im Café Eos verbracht, vor dem ausdrücklich gewarnt wurde. Das Studium brachte weitere Cafés, das Salzgries, die Cafeteria am Dach des NIG und das Café Stein, für hektisches Lernen knapp vor den Prüfungen. Im Café Eiles waren die Redaktionssitzungen des „Kunsthistoriker aktuell“, ausgedehnt bis in die Nacht die Abende im Café Engländer und zeitlos die Schreibvormittage im Café Heumarkt.

Rauchend und mit Liebeskummer in einem längst verschwundenen Tschocherl im 1. Bezirk.

Nicht nur in diesem Fall waren Kaffeehausfluchten notwendig für mich, not-wendend.

Ich arbeite zu Hause und mein Schreibtisch stand in der Mitte der Wohnung, ohne dass ich eine Tür schließen könnte. Genauso wollte ich es – mitten aus meinem Leben „mit Kindern und allem“ heraus arbeiten und schreiben. Ein Blatt Papier als Raum für mich alleine war genug, ich fühlte mich unabhängig und frei von Forderungen nach „einem Zimmer für mich alleine“ (Virginia Woolf). An guten Tagen. An schlechten Tagen war das schnell ganz anders und ich bin ins Kaffeehaus geflüchtet.

Sehr vermisste Cafés


Salzgries
Radlager
Milchbart
MAK-Café

Sehr geliebte Cafés


Jelinek
Heumarkt
Korb
phil
Menta
Rüdigerhof
Goldegg
AIDA Wollzeile

Manchmal besuchte Cafés


Eiles
Prückel
Engländer
Sperl

15. Juli 2015, Radlager, Operngasse, 1040 Wien


Orange-gelb gestreifte Markise gespiegelt im Wasserglas, 
im Raum stehende Luft, rinnende Tropfen von der Brust
bis zum Nabel, nicht sichtbar auf dem schwarzen Kleid,
zu heiß für diesen Tag, wie der Espresso in der weißen Tasse.
Im Kopf dreht sich die im Vorbeifahren gehörte Liedzeile
36 Grad und es wird noch heißer … beunruhigende Wahrheit
an diesem Tag.

16. Jänner 2016, Cafe Menta, 1030 Wien


Wie auf Reisen leben, Kaffee trinken und schreiben, abtauchen in meine Worte und wieder auftauchen. Für Augenblicke das Gefühl, ganz woanders zu sein. „Ich kann nicht alle komplizierten Leute aus dem 2. Bezirk nehmen“, höre ich eine Frau sagen und bin zurück in Wien. Vor den großen Fenstern kurven die Straßen und Bahnen hin und her, ziehen ihre Linien. Auch kein unbeschriebenes Blatt, dieser Platz in der Nähe des Wassers. Wie die meisten Orte in Wien, denke ich. Und möchte schon wieder abtauchen. „Nichts ist für die Ewigkeit“, sagt gerade die Frau am Nebentisch.

29. Oktober 2020, Cafe Heumarkt, 1030 Wien


Der Klang der Kühlvitrine. Das Rütteln vor der Stille. Um nach einer Weile wieder zu brummen.
Der Ofen und die Säule.
Die Billardtische.
Drei wechselnde Spiegelbilder golden gerahmt.
Die roten Kunstlederbänke, die Risse geklebt.
Hier habe ich geschrieben, stundenlang.
Hier haben wir Lesungen geplant und auch welche veranstaltet.
Hier bin ich nach Konzerten gesessen.
Hier gibt es Hirn mit Ei und gebackene Champignons.
Hier sind vor sechzig Jahren Liebende gesessen, nachmittaglang bei einem Glas Milch, auf der Suche nach Verstecken.
An den Kleiderständern hängt Vergessenes aller Art.
Hier bin ich im Leo, kurz aus dem Spiel, in Sicherheit.

19. Mai 2021, Cafe Goldegg, 1040 Wien

Ich sitze im Goldegg seit endlich wieder.
Dort wo monatelang das Skelett am Fenster.
Habe Herzklopfen vor Freude und nichts zu schreiben.
Finde einen Kugelschreiber, die Rückseite des negativen Ergebnisprotokolls.
Trinke weißen Spritzer. Feiere.
Die Gesprächsfetzen im Raum,
und Glückspartikel,
der Klang der Kühlvitrine,
und der Espressomaschine.

Als ob immer.