Cornelia Caufmann
Von Farben, Zeichen und Wundern Zu den Arbeiten von Cornelia Caufmann
Vorsprachen, unbekannt geblieben für immer … Anfänge, man wusste noch nicht wovon … Zeichen, die man zum Zeitvertreib in den Baumstamm ritzte … Annäherungen, die einer Gemütsbewegung ihren eigentlichen Ausdruck gaben … die von den Strichen zu den Dingen, den Wesen, den Gebärden, den Situationen führten … nicht wirklich eine Sprache, aber ganz lebendig, eher Gefühle in Zeichen … Zeichen, deren Fehlen wir jetzt als Nachteil empfinden. – Henri Michaux
Eine wilde, nomadische Linie. Gezogen seit Jahrtausenden, um einer Gemütsbewegung, einer Gedankenbewegung ihren Ausdruck zu geben. Zwischen Selbstvergessenheit und Gestaltungswillen geritzt oder mit einem verkohlten Ast gezeichnet. Von Malenden, Zeichnenden, Schreibenden immer wieder aufgegriffen und fortgesetzt.
the wild nomadic line bezeichnet eine Reihe von Arbeiten der Künstlerin. Rote, schwarze, weiße Zeichensetzungen mit dem Pinsel auf Leinwand, auf Nepalbütten, auf Karton.
Ist Rot eine Farbe
oder ein Ereignis?
Das energiegeladene, kontroverse Rot voller Energie und Leben. Die Farbe der Liebe und der Aggression. Lockend und warnend.
Farbliche Urerfahrung entlang der Mysterien von Fruchtbarkeit, Geburt und Tod. Die frühesten Bildnisse auf Höhlenwänden sind aus rotem Ocker, die Farbe der Erde, die Farbe des Blutes, des Lebens. Die physische Wirkung der Farbe lässt Blutdruck und Atemfrequenz steigern. Rot macht etwas mit uns: von erdroter Geborgenheit zu feuerroter Leidenschaft.
Ist Schwarz eine Farbe
oder eine Gesamtheit?
Das Schwarz der Ursubstanz der Welt, einer Sphäre des Ungeschaffenen. Das Schwarz der Verneinung aller Gegensätze, das Schwarz der Vollkommenheit. Tiefschwarz und spiegelnd ist die Mitte des menschlichen Auges. Die Schwarze, wird die indische Göttin Kali genannt, deren Name sich auf kala, Zeit bezieht.
Nach der Zähmung des Feuers kommt die schöpferische Eigenschaft eines verkohlten Zweiges. Das manchmal unheimliche, ungreifbare Schwarz bekommt in der Linie etwas Gestaltendes, Erzählendes. Und damit auch Magisches, Welterklärendes. Die schwarze Linie kann aus dem Nichts etwas erschaffen, die Welt abbilden. Es können Zeichen und Wunder geschehen.
Ist Weiß eine Farbe
oder ein Zustand?
Das schweigende, leere, farblose Weiß. Das pure Gegenteil von Chaos. Weiß als eine Ansammlung von Möglichkeiten. Weiß als die Stille konzentrierter Momente, bevor die Dinge ihren Ausdruck finden. Weiß als ein Innehalten.
Das Weiß eines leeren Blattes, einer leeren Leinwand. Etwas noch Unsichtbares kann seinen Ausdruck finden. Früh, schon zur Zeit der Tontafeln, wurde das Beschriftungsmaterial, das zu Bezeichnende, in rechteckige Form gebracht. Ob ein Blatt Papier, oder scheinbar endlose Leinwände, die wie Wandteppiche wirken.
Im Märchen wünscht sich die Königin ein Kind „weiß wie Schnee, rot wie Blut, schwarz wie Ebenholz“. Schneewittchen in der Tradition der dreifachen Urgöttinnen, die den Zyklus von Werden und Vergehen verkörpern. Schwarz, Weiß, Rot als älteste und mächtige Farbkombination. Symbol der Welt, ihrer innenwohnenden Lebensdynamik.
„Hangings in Rot“, „Malrituale – Wallhanging in red“, „Klangfiguren in Rot“, „Hangings in Schwarz-Weiß“. So einige der Werktitel von Cornelia Caufmann entlang dieser nahezu magischen Farbkonstellation. Malereien, Kalligrafien, Zeichensetzungen. Sprachfindungen hin zur Eigensprache, frei von Sprachrichtigkeit und Norm.
Kalligrafieren, von kallos, die Schönheit und graféin, schreiben. Die Kunst des schönen Schreibens mit der Hand. Auf die Geste kommt es an, spontane oder bewusste Ausdrucksbewegung des Körpers, besonders der Arme und Hände.
Übersetzung einer inneren Haltung, die Malgeste.
Der japanische Philosoph Soetsu Yanagi spricht von Ruhe in der Bewegung und Bewegung in der Ruhe.
Die gleichermaßen meditative wie expressive Malgeste schöpft aus einer reichen Innenwelt und großen künstlerischen Erfahrung. In den eigensprachlichen, reduzierten Zeichen klingen Rückerinnerungen an Gesehenes, Erlebtes, Reflektiertes.
Die Malgeste ist nicht auf ein Bild beschränkt, sondern lebt von Bildfortsetzungen.
Die wilde, nomadische Linie formt sich zu immer neuem Ausdruck einer Hand-, Gemüts- und Gedankenbewegung. Lebt von Wiederholungen. Stellt einen Rhythmus her.
Der lateinische Begriff texere, weben, flechten, zusammenfügen klingt nach im Text, im Textil, in der Textur. Eine Anordnung, ein Beziehungsgefüge herstellen. Aus Farben, Zeichen, Zeilen. Aus Geschautem, Gehörtem, Gedachtem. Aus Verdichtetem, Reduziertem. Aus Schichten und Zwischenräumen.
Eine Bildkomposition.
Eine Klangkomposition.
Komposition ist ein absolutes Geheimnis. Sie wird vom Inneren diktiert. Der Künstler sucht nach bestimmten Klängen oder Linien, die seinem Inneren entsprechen und schließlich nach einer Anordnung, die für ihn stimmig ist. Diese Kompositionen rufen im Betrachter bestimmte Gefühle hervor. Manche Kompositionen sprechen diesen an und manche jenen. Doch wenn sie im Inneren des Künstlers keinen Anklang finden, werden sie niemanden ansprechen. Komposition und Anklang im Inneren sind wesentlich für das Kunstwerk. – Agnes Martin
Henri Michaux, Von Sprachen und Schriften, Essay 36, Droschl Verlag, Graz 1998 Margarete Bruns, Das Rätsel Farbe, Materie und Mythos, Reclam, Stuttgart 2002 Kenya Hara, Weiss, Lars Müller Publishers, Zürich, 2010 Soetsu Yanagi, Die Schönheit der einfachen Dinge, Bergisch-Gladbach 1999 Agnes Martin, Writings/Schriften, Cantz, Ostfildern, 1993