Ungefähr genau

Mit meiner Freundin sitze ich im Cafe Weitzer. Ich erzähle von meinem Morgenespresso gegenüber der Franziskanerkirche, meine Blicke über die Mur hinweg, wie gerne ich diesen gotischen Kirchenraum mag, die Pauken schlagenden, trompetenden, Geigen spielenden Engel auf der Orgelempore. Meine Freundin spricht von der Uhr ohne Zeiger auf dem Turm und wie sie sich auf ihren Wegen daran freut. 

Ich sehe sie sofort vor mir, diese zeigerlose Uhr, ohne sie bewusst wahrgenommen zu haben. Zu wenig Gegenwart in meinem Blick auf diese Stadt voller Erinnerungen.

Später gehen wir über die Brücke auf die Uhr zu, ich fotografiere und denke an Patti Smith, ihren Text „Uhr ohne Zeiger“. Auch sie besessen von Kaffeehäusern. Oft aus der Zeit gefallene Orte, mit stehen gebliebenen Uhren an der Wand.

Wie kann ich diese Uhr ohne Zeiger nicht sofort lieben!? Das Fehlen der goldenen Zeiger und die daraus entstandene Unterbrechung der fortlaufenden Zeit versprechen ihren eigenen Glanz. Mehr Kairos als Chronos. Mehr Augenblicksglück als getaktete Zeit. 

Dem entsprechen auch meine beiden Armbanduhren.  Der Schriftzug „JETZT“ von Leo Zogmayer und Zeiger ohne Ziffernblatt auf einer weißen Fläche. Zeit nicht in Abschnitte, Striche und Zahlen unterteilt. Meine andere Uhr, eine alte Omega, ungefähr genau.


Wir lebten rund um die Uhr, nahmen die Tage und Nächte ohne große Rücksicht auf Zeit.
(Patti Smith)

Alltage, Orte, Worte. 26. Februar, Graz