Dezemberrituale

Jeden Dezember gehe ich ins Kunsthistorische. Zu den Winterbildern der Niederländer. Das Valkenborchsche Schneegestöber war als Kind mein Lieblingsbild. Ich mag es immer noch. Die Winterlandschaften von Avercamp und Brueghel. Immer kaufe ich Karten dieser Winterbilder, setze mich ins Café in der Kuppelhalle und schreibe sie. Dieses Jahr nicht. Es ist dermaßen voll, Schlangen vor dem Café.

Beinahe sehnsüchtig denke ich an den Dezemberlockdown 2021. Ich war mit meiner Freundin, der Dichterin Hillary Keel im Museum. Ich für mein Dezemberritual, sie für Vermeer rund um ihr Schreibprojekt. Unabgesprochen haben wir beide darüber geschrieben.

Eine gewisse Leere
16. Dezember 2021, im Lockdown

Mit meiner Freundin Hillary im Kunsthistorischen Museum
Vermeers Licht trifft uns unerwartet neu
Wir vermissen manche Winterbilder
die Betrachtenden
den Kaffee in der Kuppelhalle
während die Sessel gestapelt auf Marmortischen
Wir vermessen die Leere
Sacherwürstel und Bier im Burggarten
der ausgelassene Teich wird gereinigt
Bauzäune um die Wiesen
ein älteres Paar geht seiner Wege Hand in Hand.

Ausschnitte aus dem Text A perfect world von Hillary Keel:

We miss Winter

Landscape by Avercamp

but then find Bruegel’s,

Hunters in the Snow,

and those skaters on

ponds, the bridges,

waterways all frozen,

she points out flames

coming from a cottage

chimney, a tiny detail,

alarmed figures stand by,

the meager amount of game

carried by the hunters,

the dogs are starving,

and a snowy scape

suddenly turns

sinister.

We sit on the sofa

in the center of

Wednesday afternoon

thinking of coffee

and then move

onward to the

next rectangular

gallery, paintings

lined one after

another, among

them to my left

The Art of Painting,

by Johannes Vermeer.